Dieser Text entstand im Rahmen des Museumsjubiläums 2024. Für das Projekt „150 Jahre 150 Objekte“ in der Sammlung Online wurden Leipzigerinnen und Leipziger nach ihrem Blick auf die Sammlung gefragt:

Noch zehn Minuten. Sie richtete die gestärkte Halsbinde und zog dann vorsichtig den Justeaucorps an. Mühelos glitt der alte Stoff über die bauschigen Ärmel des Herrenhemdes. Die Schneider, damals wie heute, hatten ihr Handwerk verstanden. Der rosa Rock saß perfekt und sogleich nahm sie eine aufrechte Pose ein. Zum letzten Mal. Bedauernd strich sie über die plastischen Stickereien, die vor langer Zeit von talentierten Händen geschaffen worden waren. Zwar würde es im dunklen Saal kaum auffallen, doch sie wusste, dass die Ärmelaufschläge nur vorgaben, aus dem letzten Jahrhundert zu stammen. Ganz wie sie selbst. Noch fünf Minuten. Prüfend betrachtete sie ihren Aufzug noch einmal im Garderobenspiegel. Das Rampenlicht würde die glatte Seide des Herrenrocks schimmern lassen. Ob sich sein ehemaliger Träger je Gedanken dazu gemacht hatte, wie Kerzenschein die Wirkung der Farben veränderte? Sie setzte den schwarzen Dreispitz auf und spürte, wie die Verwandlung in den Kavalier begann. Ein letztes Mal. Bei der Fechtszene würde sie die Schöße des Rocks so wirbeln lassen, dass es die Seide zum Blitzen brachte. Sie griff den falschen Degen, verneigte sich vor ihrem Spiegelbild und betrat den dunklen Gang. Eine Minute. Vielleicht könnte sie den Rock abkaufen, schließlich war dies die Dernière. Oder gehörte er ins Museum? Ausrangiert, wie sie. Applaus brandete auf. Sie atmete tief ein. Vorhang.

Jasmin Plawicki, Kunst- und Modehistorikerin