(60) Runde Tischdecke
Beteiligte
Emilie Mildeová Paličková Entwurf
Staatlicher Nähspitzenkurs Schönfeld/ Eger Ausführung
Datierung
1930 - 1931 Ausführung
Geographischer Bezug
Prag Entwurfsort
Schönfeld/Eger Ausführungsort
Material / Technik
Leinengarn; Nadelspitze
Maße
76,0 cm (Durchmesser)
Erwerb
Schenkung des Schulministeriums Prag, Prag, 1932
Inventarnummer
1932.49
Standort
Aktuell nicht ausgestellt
Objektsystematik
Schlagwortkette
Art déco; Figur; Figurengruppe; Wolke
Sammlung
Europa (Textilien und Mode)
Dieser Text entstand im Rahmen des Museumsjubiläums 2024. Für das Projekt „150 Jahre 150 Objekte“ in der Sammlung Online wurden Leipzigerinnen und Leipziger nach ihrem Blick auf die Sammlung gefragt:
Die letzten warmen Sonnenstrahlen scheinen durch das Fenster auf die weiße runde Tischdecke. Sanft zieht sie mit ihren Fingern die diagonalen Linien nach, die vom Zentrum ausgehen, und berührt die hellen unregelmäßigen Vierecke, durch denen das dunkle Mahagoniholz des Tisches mal schwächer, mal intensiver hindurchschimmert.
Sie hat die Decke aus Leinengarn beim staatlichen Nähspitzenkurs im tschechischen Schönfeld/Eger angefertigt. Den Entwurf hat die Textilkünstlerin Emilie Mildeová Paličková (1892–1972) geliefert, die sie sehr bewundert. Die Struktur erinnert sie an Paul Klees (1879–1940) Gemälde Hauptwege und Nebenwege. Doch anders als bei Klee führen die Pfade ihrer Tischdecke nicht zum Horizont. In Gedanken zieht sie die Linien über die Decke hinaus, die ins Unsichtbare und Ungewisse führen.
Auf diesen „endlosen Wegen“ begegnen ihr mehrere Frauengruppen, die vor rauchenden Industrieschornsteinen stehen, während einzelne Regentropfen fallen. Gekonnt formen die unterschiedlich strukturierten Vierecke die Kleidung der Frauen. Wie realistisch erscheint die Mimik, wie weich die Bewegungen ihrer Arme und wie verletzlich ihre nackten Füße. Die Frauen wirken erschrocken. Ahnen sie das nahende Unheil? Doch noch ist das Jahr 1932 nicht vorüber. Noch bleibt ein letztes Luft holen, auch wenn die Bedrohung längst zu spüren ist.
Sandra Braune, Kunsthistorikerin und ehemalige Volontärin am GRASSI Museum für Angewandte Kunst