
© GRASSI Museum für Angewandte Kunst, Leipzig.
Wandbehang "Hungertuch" (Assemblage)
Beteiligte
Christa-Maria Jeitner
Datierung
1966 Ausführung
Geographischer Bezug
Blumenberg b. Berlin Ausführungsort
Material / Technik
Flachs, Nägel, Stacheldraht, Woll- und Leinenstoff
Maße
100,0 cm (Breite)
95 cm (Länge)
Erwerb
Ankauf, Christa-Maria Jeitner, Blumenberg b. Berlin, 1966
Inventarnummer
1966.30
Standort
Aktuell nicht ausgestellt
Objektsystematik
Sammlung
Europa (Textilien und Mode)
Dieser Text entstand im Rahmen des Museumsjubiläums 2024. Für das Projekt „150 Jahre 150 Objekte“ in der Sammlung Online wurden Leipzigerinnen und Leipziger nach ihrem Blick auf die Sammlung gefragt:
Ein Stück Stoff, das nicht wärmt. Stacheldraht, rostige Nägel, Fäden, die wie Tränen fließen - sie alle sind Teil von Christa-Maria Jeitners (*1935) "Hungertuch". Dienen Hunger- oder Fastentücher sonst zum Verhüllen der Darstellung des gekreuzigten Christus und erinnern die Gläubigen an die Passion Christi und die eigenen Entsagungen und die Buße während der Fastenzeit, so soll hier noch an eine andere Passion erinnert werden – die der Millionen Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus. Das sprichwörtliche „am Hungertuch nagen“ bezieht die Künstlerin auf das Schicksal unzähliger Verfolgter, die in den von Stacheldraht umzäunten Konzentrations- oder Arbeitslagern in den (Hunger-)tot getrieben wurden. Das aus Flachs gefertigte Objekt verhüllt und offenbart zugleich. An einigen Stellen - dicht geknüpft - versperrt das Tuch den gedachten Blick auf das Schicksal der Jüdinnen und Juden im Holocaust. Gleich den Hungertüchern aus den Kirchen mahnt es uns zum stillen und immerwährenden Gedenken. An anderer Stelle jedoch, hindurch zwischen die lose liegenden, mit Stacheldraht verknüpften Fäden, wird der Blick freigeben auf das dahinterliegende. Die drei rostigen Nägel, die wie historische Artefakte inszeniert werden, versinnbildlichen eindrucksvoll den Kreuztot Christi und zugleich die Passion der Jüdinnen und Juden. Ein Stück Stoff, das nicht wärmt, sondern textiles Mahnmal ist.
Marian Reisinger, 35