
© GRASSI Museum für Angewandte Kunst, Leipzig
Behang "Marmor"
Beteiligte
Inge Götze
Datierung
1984 - 1985 Ausführung
Geographischer Bezug
Halle (Saale) Ausführungsort
Material / Technik
von Hand marmorierter Karton, Folie; Näherei
Maße
213 cm (Höhe)
148 cm (Breite)
Erwerb
Ankauf bei Inge Götze, Halle (Saale), 1987
Inventarnummer
1987.10
Standort
Aktuell nicht ausgestellt
Objektsystematik
Schlagwortkette
Figur; Frau
Sammlung
Europa (Textilien und Mode)
Dieser Text entstand im Rahmen des Museumsjubiläums 2024. Für das Projekt „150 Jahre 150 Objekte“ in der Sammlung Online wurden Leipzigerinnen und Leipziger nach ihrem Blick auf die Sammlung gefragt:
Der Begriff Marmor bezeichnet nicht selten Falsches. Gesteinskundlich ist jedenfalls kaum je das Richtige benannt, nämlich Karbonate. In Literatur und bildender Kunst wird indes eine Vielzahl von Steinen – absichtsvoll oder blindlings – als Marmor geadelt. Von fingiertem Marmor spricht man bei Fiktionen (z. B. in der Malerei) oder bei Imitaten (z. B. in der Architektur, im Kunstgewerbe oder in der Buchbindekunst). Letztere gelten als (billiger) Ersatz, wo sie nicht als (bewusstes) Verweiszeichen von etwas Uneigentlichem auf Höheres deuten, gewissermaßen auf das unverfügbare Eigentliche.
So auch hier: Unser bunter, transparenter (Fenster-)Behang heißt „Marmor“, ist aber aus marmorierten Papieren gefügt – jedes der Quadrate ein Augenschmaus und eine farbenfrohe Welt für sich. Näherei, etwas Klebeband und eine zweckentfremdete Gurkenzeltfolie verhelfen dem experimentellen Mosaiksurrogat zu Halt und Glanz. Provisorisch oder improvisiert wirkt das nicht. Im Gegenteil, der Assemblage ist die Behauptung von Dauer eingeschrieben, dem abstrakten Figurenmotiv ein antikisches Menschenbild. Und das von Buchvorsätzen bekannte Marmorpapier verweist auf Literatur – sozusagen auf das buchstäbliche Gut(e). Götzes gestalterisch qualitätvoller „Marmor“ ist Kunstwerk und Gebrauchskunst zugleich – vorstellbar, dass der Behang zum Verdecken unschöner Aussichten taugte. Er repräsentiert jedenfalls beides, praktische Funktion und ideelle Dringlichkeit. Unter den Bedingungen von sozialistischer Diktatur und Kulturpolitik, quälender Mangelwirtschaft und gleichmacherischen Raumkunstidealen verkörpert er Wahrhaftiges, sprich humanistische Werte – und das schwebend leicht wie Papier im Windhauch.
Dr. Thomas Pöpper, 54, Professor für Kunst- und Designgeschichte