
(149) Kanne mit Bacchanal und Triumph der Meeresgötter
Beteiligte
Meister/Werkstatt "IC"
Jacob Androuet Ducerceau Vorlage
Datierung
Drittes Viertel 16. Jh.
Geographischer Bezug
Limoges (Frankreich) Ausführungsort
Material / Technik
Grisaille und Camaieu Email
Maße
27 cm (Höhe)
Erwerb
Dauerleihgabe der Ernst von Siemens Kunststiftung, 2023. Ehemals Slg. von Maximilian von Goldschmidt-Rothschild, Frankfurt/Main
Inventarnummer
LN2023/26
Standort
Ausstellung Antike bis Historismus > Raum 9 Renaissance: Nördlich der Alpen
Schlagwortkette
Fabeltier; Gottheit; Kanne; Meer; Meerweib; Mythologie; Neptun; Schenkgefäß
Sammlung
Europäisches Kunsthandwerk (Mittelalter bis Mitte 19. Jh.)
Die Kanne ist herausragendes und zugleich charakteristisches Beispiel für die höchst qualitätvollen Emailarbeiten aus Limoges. Besonders auffallend sind die in feinster Grisaille-Malerei ausgeführten figürlichen Darstellungen auf Schulter und Bauch des Gefäßes, die vom virtuosen Umgang des Monogrammisten bzw. der Werkstatt „IC“ mit der Grisailletechnik Zeugnis ablegen – dargestellt sind ein Bacchanal und der Triumph der Seegötter. Die Hauptszene des Bachanals befindet sich unterhalb der Schnaupe und zeigt den trunkenen, auf einem Esel reitenden Bacchus, der von zwei Satyrn gestützt wird. Auf der Kannenschulter sind u.a. phantastische See- und Fabelwesen zu sehen, die Bocksbeine, Fledermausflügel oder Geweihe besitzen und sich im wild bewegten, schäumenden Wasser tummeln. Die künstlerische Qualität der Figurendarstellungen ist außergewöhnlich hoch, sie wirken lebendig und dynamisch, die Körper werden durch Licht- und Schattentöne fein differenziert und dadurch überzeugend plastisch wiedergegeben.
Als grafische Vorlagen dienten dafür zwei um 1546 entstandene Radierungen von Jacques Androuet Ducerceau (vor 1520–1585/86), die zu einer zehnteiligen Folge mit Schalenentwürfen, den Fonds de Coupes, gehören. Die in ein Schalenrund eingepassten Darstellungen sehen bereits eine Verwendung als Gefäßdekore vor und dürften sich daher unmittelbar an die Emailleure gerichtet haben.
Vergleichbare Emailarbeiten aus Limoges, die Geschirrformen besitzen, dienten höchstwahrscheinlich nicht zur Aufnahme von Speisen oder Getränken, sondern waren begehrte Sammelobjekte, die der Präsentation auf Kredenzen oder in Kunstkammern dienten und damit eine repräsentative Aufgabe erfüllten. Limoges war vom Ende des 15. bis zum 18. Jahrhundert ein Zentrum für die Produktion von Gefäßen und Plaketten in der aufwendigen Technik des Maleremail in höchster Vollendung.
Das im GRASSI Museum für Angewandte Kunst bereits vorhandene Konvolut an Limousiner Maleremailarbeiten wird durch diese Neuerwerbung erheblich bereichert und vermittelt damit die herausragende Bedeutung der Emailtechnik für die angewandte Kunst der Renaissance.
Dr. Thomas Rudi
Provenienz:
Bis 11. November 1938:
Maximilian von Goldschmidt-Rothschild, NS-verfolgungsbedingt verkauft an die Stadt Frankfurt/Main
11. November 1938:
Stadt Frankfurt/Main, erworben von Maximilian von Goldschmidt-Rothschild
Bis 26. Februar 1949:
Museum für Kunsthandwerk, überwiesen von der Stadt Frankfurt/Main
26. Februar 1949:
Erben nach Maximilian von Goldschmidt-Rothschild, restituiert von der Stadt Frankfurt/Main
Bis 13./14. April 1950:
Kunsthandlung Rosenberg & Stiebel, New York, verkauft im Auftrag der Erben von Maximilian von Goldschmidt-Rothschild
13./14. April 1950:
Auktion Parke-Bernet Galleries, New York, eingeliefert von Rosenberg & Stiebel
Bis 1964:
Ernest Brummer (1891-1964), New York
1964 bis 16-18. Oktober 1979:
Ella Baché Brummer (1900-1999), erworben im Erbgang von ihrem Ehemann Ernest Brummer
16.-18. Oktober 1979:
Auktion Galerie Koller, Zürich, und Spink & Son, Zürich, eingeliefert von Ella Baché Brummer
16.-18. Oktober 1979 bis 2018:
Privatsammlung, USA, erworben auf der Auktion von Galerie Koller und Spink & Son
2018 bis 2023:
Blumka Gallery, New York, erworben von Privatsammlung, USA
2023:
Ernst von Siemens Kunststiftung, erworben von der Blumka Gallery. Als Dauerleihgabe an das GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig
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Dieser Text entstand im Rahmen des Museumsjubiläums 2024. Für das Projekt „150 Jahre 150 Objekte“ in der Sammlung Online wurden Leipzigerinnen und Leipziger nach ihrem Blick auf die Sammlung gefragt:
Dieses wunderbare Kunstobjekt mit fein ausgeführter Grisaille-Malerei in Gestalt einer emaillierten Kanne zeigt die Darstellung eines fröhlichen Bacchanals. Auf der Kannenschulter findet sich zudem eine ausgelassene und vor Kraft strotzende Runde von aberwitzigen Wasserwesen und Monstern, die sicher die Steigerung der Lust und Zügellosigkeit der Betrachtenden beabsichtigt.
Die großzügig ausgeformte Kannenmündung in Verbindung mit einem reichlich bemessenen Henkel suggeriert einen unerschöpflichen Kanneninhalt, der sich in großen Schwüngen in die Trinkgefäße der Gäste ergießen lässt, um sie Teil des dargestellten Bacchanals werden zu lassen, sich in Rausch und Übermut in versammelter Gesellschaft zu vereinen.
Diese lustbetonte Kanne weckte wegen ihrer kunstvollen Ausführung und ihres stimulierenden Sujets immer starke Begehrlichkeiten als Wertobjekt. Damit traten ihre ursprünglichen Absichten – Geselligkeit oder Kontemplation in reiner Betrachtung zu fördern – in den Hintergrund. Durch unfreiwilligen Besitzwechsel im Dritten Reich legte sich auch über dieses Kunstwerk der Schatten deutscher Geschichte, der heute eine unbefangene Rezeption der dargestellten Szenerien erschweren mag. Glücklicherweise konnten in der Zwischenzeit längst fällige Schritte in Form von Restitutionen zur Wiedergutmachung des begangenen Unrechts gegenüber jüdischen Sammlerinnen und Sammlern in zahlreichen Fällen realisiert werden.
Thomas Moecker, Gestalter und bildender Künstler