Plakat "EUROPÄISCHES KUNSTGEWERBE 1927"

Beteiligte

Herbert Bayer Entwurf
Buch- und Kunstdruckerei Ernst Hedrich Nachf. Druck

Datierung

1927

Geographischer Bezug

Leipzig Herkunft (Allgemein)

Material / Technik

Papier, Farblithografie

Maße

89 x 60,5 cm (Blattmaß)

Signatur / Marke

Bez. im Druckstock unten links "Buch- und Kunstdruckerei Ernst Hedrich Nachf. Leipzig C.1" und unteren Drittel links "herbert bayer bauhaus"

Erwerb

Alter Bestand

Inventarnummer

B.1992.7

Standort

Aktuell nicht ausgestellt

Schlagwortkette

Bauhaus; Grassimesse

Sammlung

Druckgrafik

Dieser Text entstand im Rahmen des Museumsjubiläums 2024. Für das Projekt „150 Jahre 150 Objekte“ in der Sammlung Online wurden Leipzigerinnen und Leipziger nach ihrem Blick auf die Sammlung gefragt:

In der Sammlung Online kann man sehr viele Objekte bzw. Abbildungen oder Scans verschiedenster Objekte sehen. Es sind aber eben auch nur Abbildungen, während die Originale in den Depots schlummern und nur sehr selten und von nur wenigen Personen herausgeholt werden. Ein Plakat ist vielleicht nur ein Plakat, aber wie sich so ein 100 Jahre altes Plakat anfühlt und was mir in den Sinn gekommen ist, als ich es in den Händen hatte, möchte ich hiermit teilen.

Das Plakat oder genauer gesagt dieser Druck ist mittlerweile durch den Alterungsprozess gelblich-verfärbt. Kaum vorzustellen, dass dieses Papier mal strahlend weiß war… Das Papier hat eine raue Oberfläche, das heißt es ist ein offenes, unbehandeltes Papier. Es fühlt sich stark und schwer an, ich schätze 250g/m2. Es ist ganz trocken und rissig. Eine kleine falsche Bewegung und man kann einen neuen Riss am Rand verursachen.
Das Plakat wurde gefaltet, wahrscheinlich für den Versand oder zum Aufbewahren, und an den Falzlinien entlang sind das Papier und die Farbe aufgerissen.

Anders als das Papier sehen dafür die Druckfarben aus: Leuchtend liegen sie direkt und ohne eine Art Schutzschicht oder Veredelung, wie es heute in der Plakatherstellung üblich ist, auf dem Papier. Rot, blau und grau.
Bei genauem Betrachten, sehe ich, dass eine Art Raster, also die Grundlinien der Rechtecke in Blau hindurch schimmern. Diese gehen dann in die blauen Flächen über. Da in dieser Zeit die Litographie, das Steindruckverfahren, für den seriellen Plakatdruck praktiziert wurde, gehe ich davon aus, dass es wie im heutigen Offset-Druck für jede Farbe eine Druckplatte gab. Vielleicht wurde zuerst das Blau und nachträglich je die roten und grauen Flächen gedruckt. Diese sind an den Rändern nicht immer passgenau mit dem blauen Raster oder sind übereinander gelagert, so dass neue Farbtöne entstehen.
In diesem analogen Druckverfahren ist es bestimmt schwer gewesen, alles im Detail passgenau einzustellen. Oder es entstand zu hoher Druck beim Pressen der Farbe auf das Papier, so dass die Farbe an den Rändern weggedrungen ist.

Die Buchstaben sind ausgespart, so dass das Papier durchscheint. Bei dem kleinen t bei herbert und dem k bei dem Wort Johanniskirche fehlen die oberen Längsstriche.
Das M bei Grassimuseum und das kleine a von Johanniskirche sind die einzigen Buchstaben, die über zwei Farbflächen gehen. Die Buchstaben sind in sich etwas verschoben und man erkennt in der Aussparung vom Buchstaben, genau zwischen den beiden Farbflächen eine kleine Trennlinie in blau.
Vereinzelt kann man auf den gesamten Farbflächen kleine Aussparungen erkennen, welche durch Staub oder Schmutz auf den Platten entstanden sind. An diesen Stellen wurde keine Farbe auf das Papier übertragen.

Apropos, wo genau wurde das Plakat überhaupt gedruckt?
Unten links steht die Druckerei in kursiver, serifenloser Schrift:
Buch- und Kunstdruckerei Ernst Hedrich Nachf. C.1
Ich musste sofort im Internet recherchieren, wo die Druckerei genau war. Sogenannte ‚SONDER-DRUCKE‘ bot diese Druckerei auf der Hospitalstraße 11a-13 in einem alten Zeitungsinserat an. Das heißt in der unmittelbaren Nachbarschaft des Grassigebäudes auf der heutigen Prager Straße.

Wieviele Exemplare wurden gedruckt? Wohin wurden sie ausgeliefert bzw. aufgehangen? Und was hat das damals gekostet?
Auch dazu werden leider keine Angaben zu finden sein, auch wenn mich das gerade sehr interessiert …

Was war die Idee hinter der Gestaltung von Herbert Bayer? Wie lang hat er an dem Entwurf gearbeitet?

Die Anordnung der Farbflächen wirkt einfach, minimalistisch und dennoch spielerisch. Wie ein altes Holzspielzeug für Kinder. Dieses Raster aus unterschiedlich großen blauen, roten und grauen Flächen erinnert mich aber auch an Stell- oder Raumpläne. Mein erster Gedanke war, dass diese unterschiedlich farbigen Flächen die einzelnen Messestände der Ausstellung ‚Europäisches Kunstgewerbe‘ im Grassi darstellen sollen. Allerdings war es in den Vorkursen am Bauhaus üblich, Farbstudien anzulegen, die diesem abstrakten Motiv ähneln und es wäre nicht unwahrscheinlich, wenn Herbert Bayer diese Ästhetik auf seinen Entwurf übertragen hat.

Das ganze Plakat wirkt wie eine Notation, eine Komposition. Irgendwie scheint jeder Buchstabe und jedes Wort genau da hinzugehören, wie es von dem Gestalter von Anfang an mitgedacht wurde. Das Setzen der einzelnen Buchstaben oder als Buchstabenpärchen in dieses Raster und die ungewöhnlichen Worttrennungen scheinen einem einfachen Prinzip zu folgen und wirken doch so stark. Neben dem Titel der Ausstellung sind nur die wichtigsten Infos, der Ort und der Zeitraum, klein als Bildunterschriften hinzugefügt. (Soviel Minimalismus wünsche ich mir heute bei sehr vielen Plakaten, die nur noch überladen wirken.)
Der Name ‚herbert bayer‘ ist in kleinster Schriftgröße und in Kleinbuchstaben wie eine Art Signatur in einer Farbfläche, und nicht wie die Druckerei außerhalb des Plakatmotivs, gesetzt worden. Das ausschließliche Verwenden von Kleinbuchstaben in jeglicher schriftlicher Kommunikation hat Herbert Bayer selbst im Bauhaus eingeführt.

Mir kam auch die Frage in den Sinn, wie wohl die Auftragsvergabe für die Gestaltung dieses Plakates stattfand? So etwas wie eine Marketingabteilung heutzutage gab es ja noch nicht. Es ließen sich bestimmt auch mehrere Plakatgestalter in und um Leipzig finden. Wie kam also das Grassimuseum an Herbert Bayer bzw. Herbert Bayer an das Grassimuseum? Dies im Detail zu klären, bräuchte etwas mehr Nachforschung, so dass ich den Gedanken als offene Frage weiterziehen lasse.

Es ist ein besonderes Plakat für eine besondere Ausstellung in dem neuen und uns noch heute bekannten Grassimuseum für Angewandte Kunst. Es war eine Zeit, in der viel in Kunst und Kultur investiert und sich viel davon erhofft wurde. Zehn Jahre später wurde die Kunst von Herbert Bayer als entartete Kunst deklariert und er emigrierte nach Amerika. In den darauffolgenden zwei Jahren wird das Grassimuseum im Krieg durch Bombenangriffe weitestgehend zerstört.

Ich kann es immer noch nicht glauben und bin irgendwie ergriffen, ein Original, ein Exemplar dieses Plakates aus dem Depot des Museums in den Händen halten zu dürfen und packe es ganz vorsichtig wieder in das Pergamentpapier, danach in die große graue Mappe und bringe es in das Archiv zurück, damit es die nächsten 150 Jahre und hoffentlich viel länger sicher aufbewahrt wird.

Sandra Diana Sancelean, 38 Jahre, Mitarbeiterin des GRASSI Museums für Angewandte Kunst im Bereich Events und Öffentlichkeitsarbeit

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