
© GRASSI Museum für Angewandte Kunst, Leipzig. (Foto: Felix Bielmeier)
Drei Ringe "Schmuck für heiße Tage"
Beteiligte
Gisbert Stach
Datierung
1996
Geographischer Bezug
München Ausführungsort
Material / Technik
Messing, Kunststoffeinlagen
Maße
b) 4,6 x 2,6 x 0,8 cm (HxBxT)
a) 6,6 x 2,5 x 0,7 cm (HxBxT)
c) 4,5 x 2,5 x 0,5 cm (HxBxT)
Erwerb
Donation PN & BS
Inventarnummer
2021.49 a-c
Standort
Aktuell nicht ausgestellt
Objektsystematik
Schlagwortkette
Schmuck
Sammlung
Kunsthandwerk und Design ab Historismus
Gisbert Stach, geboren 1963, ist ein international bekannter Schmuckkünstler und auf verschiedenen Gebieten der Kunst unterwegs. Er studierte an der Fachhochschule für Angewandte Kunst und Design in Köln bei Peter Skubic und beendete sein Studium an der Kunstakademie in München mit Diplom bei Otto Künzli. Seine Arbeiten bewegen sich zwischen Objekt und Performance.
In der Sammlung befinden sich drei Ringobjekte, winkelige Rohrabschnitte aus einem Messingrohr, auf dem ein dünneres Rohr aufgelötet ist. Dieses ist mit einer farbigen Masse gefüllt. Die Oberfläche der so entstandenen Ringe wirkt korrodiert und rauh. Es ist ein Konzept der Serie, denn die Ringe wurden von einem unbekannt langen Rohr mit der Metallkreissäge gekappt. Ergänzt wird diese rein „mechanische“ Behandlung des Sujets durch weitere Aktionen, die mit der Werkgruppe verbunden sind: So wurde ein derartiger Ring mit einer Tandemwalze in ein Stück Straßenbelag eingewalzt. Eine weitere Arbeit zeigt ein Stück Asphalt mit eingewalztem Ring des gleichen Typs als Halsschmuck. Hier ist der Ring das Relikt eines performativen Umgangs mit dem Objekt, das dessen Bedeutung erweitert und diese allen anderen Ringen der Werkgruppe mitgibt.
Der Philosoph Ludwig Wittgenstein prägte in einem Vortrag über Ethik das Bild der Wortbedeutung als eine Tasse, in die man so viel Sinn hineingießen könne, wie man wolle. Sie nähme immer nur ihr Volumen auf, der Rest von Sinn flösse einfach ab. Bezöge man dieses Bild auf ästhetische Objekte und ihre Bedeutung, so würde dieser sinnlos gewordene Überschuss dennoch nützlich sein: Er könnte eine sonst nicht wahrnehmbare Kontur aufzeigen, an der entlang er abflösse. Um beim Bild des Philosophen zu bleiben, könnte etwa die das Volumen mitbestimmende Wandung der Tasse oder das Volumen der Untertasse und deren Stellung auf dem Tisch etc. aufgezeigt werden. Diese indirekte Art der Verdeutlichung wäre typisch für die Spielmöglichkeiten der Kunst. Hier, vom genannten Beispiel durchaus mitgemeint, umfasst nicht die Objektbedeutung ein konkretes Sinnvolumen, sondern andere wichtige Umrisse zeigen sich oft genug nur indirekt über solche Sinnüberschüsse.
Gisbert Stach als konzeptioneller Künstler produziert derartige Sinnüberschüsse im Kleinen. Seine „Schmuckobjekte“ sind aus dem Alltag genommen und dennoch seltsam, eine Art veredelte Mimikry der Gewöhnlichkeit. Dadurch wirken sie provokativ. Etwas deutlicher lässt sich dies bei Broschen des Künstlers zeigen, die Fischstäbchen und Schnitzel täuschend ähnlich sehen. Das mit einem panierten Fischstäbchen assoziierbare Objekt wie auch die Schnitzelbroschen, deren Umrisse die Konturen von Ländern aufzeigen, wirken befremdlich. Für die Vorbilder der Objekte ist der Begriff „appetitlich“ durchaus zutreffend, für die Schmuckobjekte nur begrenzt. Diese verweisen zwar auf Essbares, aber nur sehr indirekt auf das unabwendbare Schicksal alles Verzehrten. Sie sind damit nicht mehr verbunden, denn Kunst(schmuck)stücke befinden sich als auf Dauer angelegte Objekte auf einer gänzlich anderen Ebene. In den genannten Arbeiten verliert insofern der ursprüngliche mit der Form verbundene Kontext seinen Sinn: Das Fischstäbchen als Formassoziation eines Schmuckstücks, der Bernstein (als zugegebenermaßen etwas angestaubtes Schmuckmaterial) in seiner Verwendung als Panade: Das ironische Verwechslungsspiel führt zu Fragestellungen bezüglich der Aufgabe von Form, der Bedeutung von Material sowie der Funktion des Schmückens: Was schmückt denn da eigentlich, das Kunstobjekt und sein materieller und immaterieller Wert, die zugrundeliegende Ironie, die provokative Konzeption, die unter Kennern mögliche Zuordnung des Künstlers, Begehrlichkeit an der Teilhabe von Kunst, der Prozess des Erwerbs oder anderes mehr? Vielleicht alles zusammen? Wahrscheinlich letzteres.
Mit der vielfachen Anfertigung derartiger Objekte könnte sich zusätzlich die Frage aufdrängen, wann die dauerhafte Umsetzung eines Konzepts (verstanden als eine künstlerische Fragestellung) zur Manie werden könnte oder überwiegend aufgrund ökonomischer Zwänge in Gang kommt. Doch auch diese Frage findet eine Erwiderung im Konzept des Künstlers: Die „Formvorlagen“ Rohrabschnitte, Fischstäbchen und Wiener Schnitzel werden massenhaft hergestellt und sind Bestandteil eines auf Massengüter bezogenen Alltags. Und selbst bei den die Schnitzelobjekte umgrenzenden Umrissformen von völkerrechtlich anerkannten Staaten handelt es sich immerhin um ganze 193 Optionen (sie würden wesentlich mehr, wenn die Form sich den Strukturen innerhalb der Ländergrenzen zuwenden würde). Insofern antworten die Arbeiten auch hier, nämlich mit der Bezugnahme auf eine Realität, in der das Potential zur Serie eingeschrieben ist und mit der ökonomischen Verfassung unserer Zeit und der Kunst einhergeht.
Robert Wissmath