(40) Gliederpuppe
Beteiligte
Monogrammist IP
Datierung
um 1525 Ausführung
Geographischer Bezug
wohl Passau Ausführungsort
Material / Technik
Buchsbaumholz, geschnitzt, aus 55 Einzelteilen bestehend.
Maße
22,5 cm (Höhe)
86,45 g (Gewicht)
Signatur / Marke
ohne Bezeichnung
Erwerb
Seit 1725 in der Leipziger Ratsbibliothek, 1878 ins Kunstgewerbemuseum gelangt, 1886 an Privat verkauft. Mit Mitteln der Stiftung Hugo Scharf zurück erworben, 1912
Inventarnummer
1912.198
Standort
Ausstellung Antike bis Historismus > Raum 10 Renaissacne: Aus dem Leipziger Stadtschatz
Objektsystematik
Schlagwortkette
Kunstkammer; Renaissance; Spielzeug
Sammlung
Europäisches Kunsthandwerk (Mittelalter bis Mitte 19. Jh.)
Die Konstruktion der hölzernen Puppe ist dem menschlichen Bewegungsapparat nachempfunden. Ein System von gedrillten Sehnen im Innern sorgt dafür, dass sie bis in die Zehenspitzen beweglich ist. Ihre ursprüngliche Bestimmung ist vielseitig denkbar: war sie galantes Spielzeug, wissenschaftliches Studienobjekt oder steht sie als „belebtes“ Kunstwerk für das Wunder der göttlichen Schöpfung? Vermutlich war sie für eine Kunst- und Wunderkammer bestimmt und vereinigte daher vielerlei Aspekte für einen humanistisch gebildeten Sammlerkreis.
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Dieser Text entstand im Rahmen des Museumsjubiläums 2024. Für das Projekt „150 Jahre 150 Objekte“ in der Sammlung Online wurden Leipzigerinnen und Leipziger nach ihrem Blick auf die Sammlung gefragt:
Geheimnisvoll schön – die Leipziger Gliederfrau
Sie misst in der Höhe nur 22,5 cm und erweist sich doch auf den ersten Blick als großes Kunstwerk. Die Rede ist von der um 1520 virtuos geschnitzten Gliederfrau, die 1725 vom Rat der Stadt Leipzig für die Stadtbibliothek, die auch den Ratsschatz bewahrte, angekauft wurde. So gelangte sie in die Wunderkammern der Stadt, wo sorgsam aufbewahrt wurde, was als künstlerische wie auch wissenschaftliche Inkunabel bewundert wurde. Im vorliegenden Fall handelt es sich neben der anatomisch perfekten und subtilen Darstellung des weiblichen Körpers auch um ein Funktionsobjekt, da im Inneren der Gliederfrau ein raffiniertes System von Schnürchen und Stiften jene Kugelgelenke so miteinander verbindet, dass alle Glieder beweglich sind. Dass sich in diesem so kleinen Maßstab selbst die Zehen und Endglieder der Finger bewegen lassen, ist kaum zu fassen und verstärkt noch den Zauber der Figur, deren Innenleben dem Betrachter verborgen bleibt. Das von dem so delikat geschnitzten Korpus umkleidete mechanische Werk ist für uns Betrachter somit ein Geheimnis, das sich nicht lüften lässt, ohne es nachhaltig zu beschädigen. Bezugnehmend auf Ernst E. Bösch und seine Abhandlung zur Symbolik von Objekten und Handlungen erweist sich daher die Leipziger Gliederfrau als virtuoses Kunstwerk, das auf wundervolle Weise das Geheimnisvolle und das Schöne vereint.
Dr. Thomas Schriefers, Architekt und Ausstellungsgestalter, Köln