Dieser Text entstand im Rahmen des Museumsjubiläums 2024. Für das Projekt „150 Jahre 150 Objekte“ in der Sammlung Online wurden Leipzigerinnen und Leipziger nach ihrem Blick auf die Sammlung gefragt:

Aus dem Jahr 2024 schaue ich auf die Fotografie, auf den warmtonigen Albuminabzug aus der Zeit um 1890, und staune.
In diesem Bild wurde nichts dem Zufall überlassen, alle Bildbestandteile und Tonwerte sind komponiert, alles passt. Aber das Bild ist fremd, befremdlich.

Der gewählte Landschaftsausschnitt wurde von Menschen mit Wegen, Mauern, Stufen und einer Brücke durchformt. Hierdurch verdoppelt sich nach meinem Empfinden das Artifizielle dieses Bildes. Und dann sind diese beiden nackten Jungen, vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre alt, auf den steinernen Stufen arrangiert. Der eine Knabe sitzend, der andere stehend, dabei die linke Hand auf der Schulter des anderen. Und - sie sehen sich nicht an. Als ob sie wie Statuen dort hingestellt worden wären, nach dem Ebenbild des Menschen, aber eben nicht menschlich. Schaue ich hier auf eine Landschaftsfotografie? Oder auf Aktfotografie in der Landschaft? Um 1890 arbeiteten viele Künstler im Sinn des „Historismus“, nur so kann ich mir von Gloedens Bild erklären. Aber warum hat er mit diesen Jungen als Modell gearbeitet? Wer fand Gefallen an diesem Bild? Aus heutiger Sicht und mit dem Wissen um die Ausbeutung und den Missbrauch von Schutzbefohlenen ist das Motiv befremdlich. Mir bleibt es künstlich und trotz südlicher Landschaft kühl.


Barbara Gottwald, 62 Jahre, bildende Künstlerin