Fenster für das „Maercklin-Haus“ in Stuttgart

Beteiligte

Adolf Hölzel Entwurf
Glasmalerei-Werkstatt Saile Ausführung

Datierung

1933/34

Geographischer Bezug

Stuttgart Ausführungsort

Material / Technik

Glas

Maße

226,6 x 135,6 cm (Bildmaß)

Erwerb

Schenkung Dr. Ursula Reinhardt, Stuttgart, 2022

Inventarnummer

2022.1087

Standort

Ausstellung Jugendstil bis Gegenwart > Obergeschoss > Funktionalismus

Objektsystematik

Baugebundenes Objekt > Fenster

Sammlung

Kunsthandwerk und Design ab Historismus

Ulrich Röthke: Adolf Hölzels „Maercklin-Fenster“ im Kontext seiner Glaskompositionen


Hölzel als Glasmaler

Der 1853 im mährischem Olmütz geborene und 1934 in Stuttgart verstorbene Künstler Adolf Hölzel zählt zu den wichtigsten Vertretern der Moderne in Deutschland. Ab 1905 vollzog er konsequent den Schritt in die Abstraktion. Sein künstlerisches Schaffen begleitete er mit theoretischen Reflexionen, in denen er die Gesetzmäßigkeiten des Bildaufbaus und der Farbe zu ergründen sucht. Durch die Vermittlung seiner Schüler wie etwa Johannes Itten, Ludwig Hirschfeld-Mack und Oskar Schlemmer fanden diese Lehren Eingang in den Unterricht am Bauhaus. Die Farbenlehre Hölzels prägt den Kunstunterricht in Deutschland das gesamte 20. Jahrhundert hindurch und wirkt bis hinein in die Gegenwart.

Mit drei großen Glasfensterzyklen und einigen weiteren Arbeiten gehört der Künstler neben Johan Thorn-Prikker, Cesar Klein und Josef Albers zu den bedeutenden Glasgestaltern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hölzel faszinierte vor allem die Farbintensität, die mit dem Material Glas verbunden ist. Im Spätwerk stellen Glasfenster in musivischer Ausführung ein zentrales Betätigungsfeld dar. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die Glaskompositionen des Künstlers gegeben werden.

Den ersten Auftrag für ein Glasfenster erhielt der Künstler im Jahr 1915 von Herrmann Bahlsen, dem Gründer gleichnamigen Keksfabrik in Hannover. Dass Hölzel diesem Auftrag einen hohen Stellenwert beimaß, belegt ein Brief an seinen Künstlerfreund August von Brandis. Dort heißt es: „Von meinem Glasfensterauftrage haben Sie gehört. […] In einer Zeit wo ich eigentlich vollständig schon auf mein künstlerisches Leben verzichtet habe, bekomme ich den schönsten Auftrag meines Lebens. Ob ich ihn bewältige?“ (Anm. 1) In der Rückschau lässt sich konstatieren, dass Hölzel diese Aufgabe mit Bravour gemeistert hat. Die drei monumentalen Fenster für das Firmengebäude stellen als erster ungegenständlicher Glaszyklus in der europäischen Kunstgeschichte ein Werk von internationalem Rang dar.
Für Hölzel ist die mittelalterliche Glasmalerei ein entscheidender Bezugspunkt. In einer Aufzeichnung bemerkte er: „Es ist eine eigene Sache mit Glasfenstern. In den alten Kirchen dort, wo die schönsten Fenster zu sehen sind, ist man entzückt, berauscht und hingerissen, fühlt sich in einer anderen Welt. Glut und Stimmung derselben erscheinen übernatürlich, so hinreissend und aufregend, dass man hinsichtlich der Farbe und ihrer zu erzielenden seelischen Wirkungen sich nichts Höheres und Schöneres zu erdenken vermag.“ (Anm. 2)
Die Fenster wurden im Januar 1918 im Konferenzsaal der Firma Bahlsen eingebaut.
Nach diesem Auftrag erhielt Hölzel im Jahr 1926 einen weiteren umfangreichen für das Treppenhaus des Stuttgarter Rathauses. Bei diesem Bau handelte es sich um ein 1905 fertig gestelltes Gebäude in den Formen der Neugotik. Der Künstler entwarf drei große mehrteilige Fenster, bei denen er andere Wege ging, als bei den Bahlsenfenstern. Die expressive abstrakte Formensprache wird abgelöst durch geometrisch konstruktive Strukturen.
Hölzels vorletzten Scheiben gestaltete er für den Sitzungssaal des Pelikanwerkes in Hannover. Hier handelte es sich um eine Folge von insgesamt 108 Einzelscheiben in einer Größe von 50 x 30 cm, die als serielle Komposition in zwei Fenstern angeordnet waren. Die einzelnen Scheiben können als Variationen über organische runde Formen, die jeweils im Zentrum stehen, angesehen werden. Meisterhaft ist wiederum die Abstufung unterschiedlicher farblicher Strukturen. Es entfaltet sich ein ungemein reiches koloristisches Spektrum. Die Pelikanfenster wurden leider im zweiten Weltkrieg zerstört. Nach dem Krieg wurden nach den erhaltenen Vorlagen Repliken angefertigt.


Das Stuttgarter „Maercklin-Fenster“

In seinem letzten Lebensjahr erhielt Hölzel einen weiteren Auftrag für ein Glasfenster. Die Auftragserteilung lässt sich genau datieren. Am 27.11.1933 schreibt er an Düssel: „Die Herren Ackermann und Schurr (Firma Merlin [sic!], Königsstraße) besuchten mich gestern und überbrachten mir für diese Firma einen Glasfensterauftrag. Näheres später. Idchen wird wieder mithelfen.“ (Anm. 3) Bestimmt waren die Scheiben für das Treppenhaus des Haushaltswarengeschäftes Maercklin in der Stuttgarter Königsstraße. Ausführende Werkstatt war wiederum die Firma Saile, die unter Mitarbeit von Kerkovius das Werk in Glas umsetzte. Hölzel hat die Fertigstellung der im Herbst 1934 eingebauten Scheiben nicht mehr erlebt.

Bei dem Auftraggeber für das Fenster handelte es sich um den Juniorchef der Firma Maercklin Erich Schurr. Er wurde 1906 in Stuttgart geboren und entwickelte in seiner Jugend großes Interesse an der bildenden Kunst. Von 1931 bis 1935 nahm er an den Kunstkursen von Max Ackermann an der Stuttgarter Volkshochschule teil und wurde dort in die Lehren von Hölzel eingeführt. Mit Ackermann verband Schurr eine lebenslange Freundschaft. Im Jahr 1941 initiierte Schurr die Auslagerung von Hölzels Nachlass aus Stuttgart aufs Land, da Bombenangriffe auch auf Degerloch zu befürchten waren. Erich Schurr verstarb 1989 in Stuttgart.

Das Maercklinfenster besteht aus zehn Einzelscheiben, die zu einem Ensemble zusammengesetzt und in ein Raster aus grau getönten rechteckigen Gläsern eingefügt wurden. Es entsteht ein interessanter Kontrast zwischen einer strengen geometrischen Gliederung und den freien organischen Formen der Hölzelscheiben. Um ein großes Mittelfeld gruppiert er fünf annähernd quadratische und zwei runde Scheiben

In den rechteckigen Seitenfeldern greift Hölzel die Struktur der Pelikanscheiben wieder auf. Auch in ihnen findet sich eine zentrale Kreisform, um die herum sich größere Segmente gruppieren, die teilweise als menschliche Figuren gedeutet werden können. Einen anderen Aufbau weisen die breiten mittleren Felder auf. Hier gruppiert der Künstler drei Einzelscheiben zu einer größeren Fläche. Die Kompositionen bleiben als solche erkennbar, bilden aber ein zusammenhängendes Gesamtbild. Im oberen schmalen Feld dominieren größere Formen. Am auffallendsten ist dabei ein weißes keilförmiges Glasstück, das in etwa im Verhältnis des goldenen Schnitts zur linken Bildseite angeordnet wurde und das mit einer blauen Keilform auf der rechten Seite korrespondiert. Dieses Feld steht in einem wirkungsvollen Kontrast zu den kleinteiligeren Kompositionen der darunter liegenden Scheiben. Das kompositorische Grundgerüst bilden hier große ovale Formen, in die kleinteilige Strukturen eingefügt sind. Besonders in der Pastellvorlage fallen die schwungvoll kreisenden Linien auf.
Wie bei den Pelikanfenstern zuvor stellten farbige Pastelle die Vorlage für die Umsetzung in Glas dar. Diese Pastelle haben sich in Privatbesitz erhalten. Da sie unter idealen konservatorischen Bedingungen aufbewahrt wurden und nur wenig dem Licht ausgesetzt waren, bestechen sie heute noch durch eine erstaunliche Farbintensität.
Beim Pastell für die zweite Scheibe von oben im Mittelteil kommt ein Verfahren zur Anwendung, das Hölzels Schaffen seit der Jahrhundertwende prägt: das Bedecken der Bildfläche mit rhythmischen Linienschwüngen. Dies ist schon bei den Pelikanpastellen spürbar, wird aber hier in aller Deutlichkeit vor Augen geführt.

Die Ausdrucksqualität der Linie ist es, die Hölzel bei dieser Vorgehensweise interessierte.
Der Kunsthistoriker Hans Hildebrandt beschrieb in seiner Schrift „Hölzel als Zeichner“ aus dem Jahr 1913 das unbewusste Kreisenlassen des Zeichenstiftes auf dem Papier:

„Wenn die Hand sich selbst überlassen bleibt und unbeeinflusst von der gestaltenden Phantasie wie von den nachprüfenden Verstand eine Fläche mit Linienzügen bedeckt, stellt sich die rhythmische Wiederholung der nämlichen Strichfigur als etwas Natürliches ein, gleichgültig, ob es sich um das getrennte Nebeneinandersetzen geschlossener Formen handelt […] oder um die Reihung von Kurven oder endlich –wozu namentlich eine gewisse Schnelligkeit der Strichfolge verlockt– um die stets erneute Wiederkehr einer bestimmten Figur in einem fortlaufenden Linienzug.“ (Anm. 4)

Diesen spielerischen Trieb zur rhythmischen Wiederholung sieht Hildebrandt als grundsätzlich im Menschen angelegt. Nach Hildebrandt bauen die Künste, die ohne Gegenständliches auskommen, die Musik und die Architektur auf der rhythmischen Abfolge gleicher Elemente auf. In der Malerei werde die Phantasie durch rhythmische, „keinerlei Andeutung von Gegenständlichem“ enthaltende Figuren am stärksten angeregt. Diese täglichen Übungen der tausend Striche prägen das Werk des Künstlers bis in die späten Schaffensjahre. Zahlreichen Pastellen liegen als lineares Gerüst diese rhythmischen Kreisschwünge zugrunde. In der Forschung wurde festgestellt, dass es sich hierbei um eine radikal avantgardistische Bildfindungstechnik handelt, aus der auch die Glaskompositionen des Spätwerks hervorgegangen sind. (Anm. 5) Im genannten Pastell für das Maercklin-Fenster fallen vor allem die großen ovalen Formen ins Auge, die aus dem rhythmischen Kreisen der Hand auf der Bildfläche entstanden sind. Da hinein legt er Strukturen von kleinen Kreisformen, die sich im Bildzentrum konzentrieren und die das spielerische Moment dieses Verfahrens widerspiegeln. Im Pastell ist das gestische Moment im Liniengebilde deutlich spürbar. Der Schwung der Hand beim Zeichnen, das den ganzen Körper mit einbezieht, prägt das Blatt. Bei der Umsetzung in Glas tritt dieser Aspekt durch die Transformation in ein starres Material zurück. Der durchgehende Schwung kann in der Bleirutenstruktur, die die Linien des Pastells nachzeichnet, nicht erreicht werden. Lötpunkte unterbrechen immer wieder den Linienzug und schaffen optische Zäsuren. Besonders an diesem Beispiel werden die Unterschiede zwischen dem Medium des Pastells und der Glasmalerei deutlich. In der Scheibe bekommt der Reiz des Materials Glas einen höheren Stellenwert. Dies wird besonders in der großen ovalen Form am linken Bildrand augenfällig. Im Pastell ist es eine durchgehend blaue Fläche, im Fenster ist diese Form durch ovale Lufteinschlüsse im Glas auf besondere Weise strukturiert. Auch dies kann ein Beispiel dafür gesehen werden, wie sich der Künstler in der Glaswerkstatt vor Ort durch das Material leiten ließ und aus einer vorhandenen blauen mundgeblasenen Glasscheibe eine besonders interessante Partie ausschneiden ließ. Die ovalen Einschlüsse korrespondieren auf ideale Weise mit übrigen Formen der Komposition. Auch hier legen der Künstler und die ausführende Werkstatt großen Wert auf die Berücksichtigung der Materialität des farbigen Glases, die grundsätzlich der Ausgangspunkt für die Kompositionen ist. Hölzel formuliert das in einem Aphorismus folgendermaßen: „Das Flimmern der Glasstücke und ihre harmonische Ordnung ergibt den Reiz der Glasfenster. Dieser ist Grundgedanke und Grundlage für die Glasfensterkomposition. Wie ja überhaupt bei aller Kunst die Wirksamkeit und richtige Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Mittel wesentlich ist.“ (Anm. 6)

Das Maercklinfenster kann als summa der Erfahrungen gesehen werden, die der Künstler auf dem Gebiet der Glasmalerei gewonnen hatte. Die Idee einer musikanalogen Gestaltung, die durch Linienrhythmus und Farbklänge geprägt ist, findet hier nochmal einen Höhepunkt. Insbesondere die Meisterschaft als Kolorist, stellte Hölzel in diesem Werk noch einmal unter Beweis.

Anmerkungen:
1 Brief Adolf Hölzels an August von Brandis vom 26.12.1915.
2 Aufzeichnung im kunsttheoretischen Nachlass Adolf Hölzels. Hier zitiert nach einer maschinenschriftlichen Abschrift im Nachlass Düssel Cod. hist.4° 779 B 1.2.g, Blatt 94f..
3 Brief Hölzel an Düssel vom 27.11.1933. Mit „Idchen“ ist Ida Kerkovius gemeint.
4 Hans Hildebrandt, Adolf Hölzel als Zeichner, Stuttgart 1913, S. 33.
5 „Aus dem ,Rohstoff ‘der gekritzelten Lineatur extrahiert er sowohl seine Gegenstandsformen als auch ganze Bildkompositionen. Nicht nur die Zeichnungen sind auf diese Methode zurückzuführen, auch der Aufbau der großen Leinwände oder der Glasfenster seines Spätwerks erklärt sich aus diesem Vorgehen.“ Weltzien 2015, S. 154f.
6 Adolf Hölzel, Gedanken und Lehren, hg. von Marie Lemmé, Stuttgart Berlin 1933, S. 26.

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