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Abstraktion // Figuration
95 Arbeiten von Hermann Naumann

Das Werk von Hermann Naumann (*1930) ist äußerst vielgestaltig. Ausgehend von der Bildhauerei, die er nach dem Krieg bis 1950 zunächst bei Burkhart Ebe in der Lößnitz und dann bei Herbert Volwahsen in Dresden-Loschwitz erlernt, erschließt sich Hermann Naumann Grafik und Malerei weitgehend autodidaktisch. Hierfür findet er im Loschwitzer Künstlerhaus mit seinen zahlreichen Ateliers ein stimulierendes Umfeld, das ihm kollegialen Austausch und vielfältige Kontakte eröffnet. Experimentierfreudig erprobt und kombiniert er unterschiedliche Materialien und grafische Techniken. Von Beginn an beeindruckt der Facettenreichtum seiner Ausdrucksmittel. Schon die frühen Arbeiten zeugen von genauer Kenntnis der Kunstgeschichte und knüpfen selbstbewusst an das Formenvokabular und zum Teil auch die Bildthemen der Vorkriegsmoderne an. Seine Bezugspunkte findet Hermann Naumann im Kubismus und Expressionismus ebenso wie in den abstrakten Geometrien des Konstruktivismus oder fantastischen Bildwelten surrealer Prägung. Seine grafischen Zyklen stehen andererseits in einer langen figurativen Tradition. Auch in Darstellungen aus seinem persönlichen Umfeld behauptet sich eine realistische Bildsprache.

Ungeachtet solcher Stilpluralität lassen sich in Hermann Naumanns Œuvre ausgesprochene Kontinuitäten feststellen. So reicht seine Faszination für jüdische Themen und jiddische Lyrik bis in das Frühwerk zurück. Überhaupt befasst er sich seit Jahrzehnten geradezu obsessiv mit der Weltliteratur und setzt sich dabei wiederholt mit den Verbrechen des Nationalsozialismus auseinander. Seine Bildwelten sind von Vögeln, Katzen und allerlei Fabelwesen bevölkert, die im freien Umgang mit der Überlieferung eine Art Privatikonographie entwickeln. Und schließlich ist da der variantenreich in Szene gesetzte weibliche Akt, mit dem in archetypischer Form Sinnlichkeit, Fruchtbarkeit und Lebensfreude, aber auch Vergänglichkeit und Aggression zum Ausdruck gebracht werden.

Hermann Naumanns Leben und Wirken sind eng mit seinem Wohnsitz verbunden, erst im Künstlerhaus in Dresden-Loschwitz, dann ab 1994 in Dittersbach in der Sächsischen Schweiz. Er knüpft sein weitgespanntes Netzwerk in die Kunstszene der DDR und erheblich darüber hinaus. Mit Kennerschaft und Spürsinn sammelt er Malerei und Plastik sowie in besonderem Maße grafische Blätter des 18. bis 20. Jahrhunderts – oft mit biografischem Bezug. Dieser reichhaltige Fundus ist ihm Referenz und Inspiration für sein Werk. Intensive Kontakte pflegt Hermann Naumann auch in die Buchstadt Leipzig. Bereits 1955 ermöglicht ihm des Museums der bildenden Künste eine erste Ausstellung, regelmäßig sind seine Arbeiten in Grafikgalerien wie der von Kurt Engewald präsent und aus dem Buchprojekt „Meine jüdischen Augen“ (1966-69, Inv.-Nr. B.2019.53 a-c) entwickelt sich eine intensive Zusammenarbeit mit dem Leipziger Reclam-Verlag.

Seit 2018 übergeben der Künstler und seine Frau Helga Luzens umfangreiche Schenkungen an das GRASSI Museum für Angewandte Kunst, sodass es heute neben zahlreichen Stücken aus ihrer Sammlung weit mehr als 1.000 Grafiken, Plastiken und Gemälde aus mehr als sieben Jahrzehnten des künstlerischen Schaffens beherbergt. Anlässlich des 95. Geburtstages von Hermann Naumann werden nun 95 Objekte in der Online-Collection zugänglich gemacht.

Grafik
Hermann Naumanns zeichnerisches Œuvre umfasst neben großformatigen Aquarelle und Gouachen zahlreiche, meist zyklisch angelegte Arbeiten zu literarischen Themen, daneben Aktstudien und Porträts in unterschiedlichsten Techniken. Mehrere Skizzenbücher dokumentieren die lebenslange Beschäftigung mit der menschlichen Figur, aber auch seine Formenexperimente im Medium der Plastik. Für einige seiner grafischen Zyklen und Illustrationsprojekte haben sich ebenfalls umfangreiche Vorarbeiten erhalten. Hermann Naumanns intensive Auseinandersetzung mit Knut Hamsuns „Pan“ lässt sich bis ins Jahr 1950 zurückverfolgen. Neben den 1979 in Buchform publizierten zehn Radierungen sind hier auch ein 1981 mit der Feder gezeichneter Zyklus (Inv.-Nr. B.2024.351) und mehrere Einzelblätter zu nennen.
Ein bemerkenswertes Konvolut bilden die kraftvoll mit Ölkreide auf große Bögen gezeichneten Kompositionen, die unter dem Eindruck einer Reise nach Westberlin 1959 entstehen (z. B. „Kurfürstendamm“, Inv.-Nr. B.2024-371). Mit ihrer eigenwilligen Adaption avantgardistischer Tendenzen der 1920er Jahre stehen sie zweifellos quer zur seinerzeit offiziellen Kunstdoktrin der DDR. Dies gilt ebenso für seine – teils unrealisiert gebliebenen – Entwürfe für baugebundene Arbeiten, etwa die Glasfenster zum Thema „Neue Architektur“ für ein Studentenwohnheim der Technischen Hochschule (heute TU) Dresden (Inv.-Nr. B.2018.59/39, nach 1990 demontiert, Verbleib unbekannt) oder das 1959 aus Meißner Keramikfliesen gefertigte Brunnenmosaik „Unterwasser“ (Inv.-Nr. B.2018.59/37) für einen der beiden sogenannten Zwillingsbrunnen am Dresdner Ringcafé (zerstört und 2008 am Sachsenplatz rekonstruiert) mit ihrer Tendenz zur flächig-ornamentalen Abstraktion.
In starkem Maße Buchkünstler, zeigt Hermann Naumann auch in seinen freien grafischen Arbeiten eine große Affinität zur Literatur. Er widmet sich in zum Teil umfangreichen Bildfolgen der Bibel, Luther, Shakespeare, Cervantes, Góngora, Dostojewski, Rimbaud, Hauptmann, Brecht, Böll, Christoph Hein und immer wieder Kafka, aber auch Außenseitern wie Oskar Panizza oder Charles Bukowski. Auf der Suche nach der dem jeweiligen Gegenstand angemessenen Ausdrucksformen bedient er sich der verschiedensten druckgrafischen Techniken. Dabei reizt Hermann Naumann die Möglichkeiten von Lithografie und Radierung aus, schafft subtil rhythmisierte Farbholzschnitte (etwa zu Max Dauthendey, Inv. Nr. B.2019.56) und erprobt Materialdruck, Algrafie und Cliché verre.
Zu seinen besonderen Verdiensten zählt in den frühen 1950er Jahren die Wiederentdeckung und Weiterentwicklung des schon im 15. Jahrhundert gebräuchlichen, aber weitgehend in Vergessenheit geratenen Punzenstichs. Zusammen mit den Grafikeditionen, Selbst- und Probedrucken sind auch zahlreiche Druckstöcke und -platten in die Sammlung des GRASSI Museums für Angewandte Kunst gelangt, zudem eine Reihe von Hermann Naumann selbst entworfener Ausstellungsplakate.

Malerei
Das malerische Œuvre stellt sich durchaus gegensätzlich zum grafischen dar. Hermann Naumann arbeitet mit assoziativen Farbrhythmen, die entweder mit einem starken Realismus oder in abstrakten Kompositionen mit lasierendem wie auch pastos gespachteltem Farbauftrag auf den Bildträger gebracht werden. Hier finden sich atmosphärische Landschaften der Dresdner Region in spätexpressionistischer Manier, ausdrucksstarke Portraits und literarische Sujets. Stilistische Anregung sucht sich Hermann Naumann nachdrücklich bei Paul Klee – man denke an „Harlekin und Columbine“ (1966, Inv.-Nr. E2024.473) – und Paul Cézanne. Er konsultiert Max Klinger, Alfred Kubin, Otto Dix, den Kolorismus der Dresdner Schule und die klassische Avantgarde. Dabei folgen die adaptiven Ausdrucksweisen Hermann Naumanns keineswegs aktuellen Moden oder Ideologien. Die kontinuierliche Auseinandersetzung etwa mit dem Konstruktivismus (Inv.-Nr. 2021.6 und Inv.-Nr. 2022.486), die in den 1980er und 1990er Jahren in den genreübergreifenden Konstruktionen aus geometrischen Körpern gipfelt, machen sie vielmehr zu konsistenten und eigenständigen Werkkomplexen. Gerade auch seine gegenstandslose Malerei der 1960er und 1970er Jahre ist angesichts der damaligen staatlichen Direktiven bemerkenswert. Hermann Naumanns künstlerische Haltung hat Gängelungen und Restriktionen bis hin zur Zwangsschließung von Ausstellungen zur Folge.

Plastik
Ebenso wie das malerische verdient auch das umfängliche plastische Werk größere Aufmerksamkeit, kommt ihm doch eine Initialwirkung für seine künstlerische Entwicklung zu. Es reicht von Bauplastik und großformatigen Objekten im öffentlichen Raum bis hin zu kleinen Kabinettstücken; von figürlich-typologisierter Gebrauchsplastik der sogenannten „KaDe-Büsten“ (um 1950, Inv.-Nr. 2019.1036) für den Düsseldorfer Friseursalon Karl Degenhardt, über realistische Portraits wie das von Helga Luzens (1973, Inv.-Nr. 2020.973), deren fein modellierte Gesichtszüge und Jugendlichkeit tiefe emotionale Bindung ausdrücken, bis hin zur strengen Abstraktion der Stahlplastik „Kopf“ (1985, Inv.-Nr. 2018.559).
Schon aus Gründen der in der DDR vorherrschenden Materialknappheit kann Hermann Naumann seine Arbeiten nur selten in Bronze gießen lassen, arbeitet aber mit versierten Handwerkern zusammen, etwa mit dem Kunstformer Arno Zehrfeld in Dresden. Zum Abformen finden oft Hartgips und Zementguss Verwendung. Oberflächen werden von Hermann Naumann getönt, vergoldet oder mit einer Graphitpatina überzogen, wobei derartige Veredelungen erkennbar auf Surrogatwirkung zielen. Gleichwohl bringen die Objekte den Eigenwert des Materials zur Sprache, den Hermann Naumann in „Großer Vogel“ (1953, Inv.-Nr. 2019.555) geradezu ostentativ inszeniert.
Eine vergleichsweise geschlossene Werkgruppe bilden die Stahlplastiken der 1980er und frühen 1990er Jahre. Die der konkreten Kunst nahestehende geometrische Statik der Objekte, ihre kühle Materialität und Ausgewogenheit stehen im Gegensatz zu dem ihnen innewohnenden dynamischen Moment. Mit ihrer Konstruktion aus einer Juxtaposition von ellipsoiden Formen gerät etwa die „Tänzerin" (1985, Inv.-Nr. 2018.558) in raumgreifende Rotation. Derartige Beschäftigung mit dem Körper und seiner Bewegung im Raum durchzieht Hermann Naumanns gesamtes Schaffen und wird von ihm auch in Grafik und Malerei durchexerziert.

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